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Zielvereinbarungen und variables Entgelt im Mittelstand

Interview mit Ingo Gotsch
#variable Vergütung#Zielvereinbarungen#Mitarbeitermotivation#variables Entgelt#Mittelstand

Lesedauer: ca. 11 Minuten

Susan Wild:
Ingo, du warst vor deinem Einstieg in die Personalberatung lange Jahre als Account Manager und auch als Führungskraft in verschiedenen Rollen tätig. Einleitend die Frage, warum beschäftigst Du Dich in der Beratung überhaupt mit Zielvereinbarungen und variablem Entgelt?

Ingo Gotsch:
Erstens ist es mir schon vor meinem Einstieg in die Beratung ans Herz gewachsen, während meiner vielen Jahre im Vertrieb von technischen Produkten. Sowohl als Account Manager, als auch als Führungskraft in verschiedenen Rollen. Dabei habe ich die Herausforderungen, die dabei zu Tage treten, sowie Modellwechsel hautnah selbst erlebt und auch gestaltet. Es gab dabei sehr viele positive Erlebnisse, wenn gute Führung stattfindet und faire Ziele vereinbart werden. Zudem ist das Ganze nicht nur spannend und relevant innerhalb des Vertriebs oder anderer Jobprofile die variable Entgeltanteile haben, es gibt bei der Gestaltung der Modelle auch wichtige Schnittstellen wie zum Personalwesen oder zum Betriebsrat.

Der zweite Aspekt ist, natürlich kommen wir auch in der Beratung immer wieder damit in Kontakt. Sei es bei Projekten in der Organisationsentwicklung, oder auch rund um den Direct Search von Fach- und Führungskräften, die Zielvereinbarungen und variables Entgelt bekommen sollen. In den Briefing- oder Akquise-Gesprächen mit unseren Mandanten lernen wir kennen, wie das jeweilige Unternehmen das Thema handhabt. Hierbei stellen wir durchaus größere Unterschiede fest, und auch Unsicherheiten oder Problemstellungen.

Susan Wild:
In meiner beruflichen Historie hatte ich oft mit dem Thema zu tun, und es kommt bei der Implementierung oder Umsetzung auf vielerlei Aspekte an, damit es nicht zu Dauerkonflikten oder Auseinandersetzungen kommt. Welche Aspekte sind aus der Warte von Mitarbeitenden bzw. auch Kandidaten, die sich im Bewerbungsprozess befinden, wichtig?

Ingo Gotsch:
Für die Kandidaten ist interessant und wichtig, wie sie beim potenziell neuen Arbeitgeber denn vergütet werden – und was für ein Jahresentgelt inklusive aller Bestandteile realistisch ist. Natürlich ist für Kandidaten auch relevant, wie laufen Zielvorgaben, oder besser Zielvereinbarungen beim potenziell neuen Arbeitgeber überhaupt ab – und sind die Ziele realistisch erreichbar. Hier kann man auf Unternehmen stoßen, die die Idee verfolgen, die Karotte sehr hoch zu hängen - damit möglichst hoch gesprungen wird, um sie zu erreichen. Oft erreichen sie damit aber das Gegenteil. Die „Belohnung“ wird als unrealistisch empfunden. Dies führt zur Demotivation und die Kandidaten sind frustriert, weil sie beim Wechsel angedachte Gehaltslevel in der Praxis gar nicht erreichen.

Susan Wild:
Damit sind wir schon im Herzen der ganzen Thematik angekommen. Warum ist aus deiner Sicht eine Zielvereinbarung motivierender als ein attraktives Fixum? Welche Vorteile siehst du dabei?

Ingo Gotsch:
Variable Entgeltbestandteile sind auch heute noch in vielen Berufen fester Bestandteil. Der richtige Umgang damit ist ganz wesentlich in der Mitarbeitersteuerung und in der Führung. Gleichzeitig sind sie ein nicht zu unterschätzender Faktor bei der Motivation der Beschäftigten und Vorgesetzten.

Wenn beide Seiten – ich spreche vom Arbeitnehmer und Arbeitgeber – das Modell als fair, wertschätzend, nachvollziehbar und transparent empfinden, kann das Ganze leistungsfördernd und ertrags- beziehungsweise ergebnissteigernd wirken.

Susan Wild:
Das heißt, die gängige Meinung, Zielvereinbarungen hätten keinen dauerhaften Motivationscharakter, würdest du so nicht unterschreiben?

Ingo Gotsch:
Nein, kann ich so nicht unterschreiben. Solche Modelle ermöglichen Arbeit an den richtigen und wichtigen Zielen, und haben so eine Steuerungsfunktion. Es geht darum, die Unternehmensziele auf Mitarbeiterebene so abzubilden, dass sie erreichbar und vom Mitarbeiter beeinflussbar sind, und tatsächlich auch die persönliche Leistung abbilden.

Außerdem ist zu sagen - sie vermeiden, wenn sie gut gemacht sind, aktiv die andere Seite der Medaille, nämlich Demotivation. Leider ein sehr häufig in Unternehmen anzutreffendes Element bei variablem Entgelt, hervorgerufen durch als intransparent und unfair empfundenen Modelle, die oft falsche, schlecht oder nicht beeinflussbare Ziele oder KPI‘s beinhalten oder Fehlanreize bieten.

Susan Wild:
Ganz genau. Unklare Ziele sind schwammig oder einseitig definiert, und lassen Interpretationsspielraum, wenn es um die Auszahlung geht. Das Gerangel darum wird für beide Seiten schwierig.

Ingo Gotsch:
Richtig. Der erste Fehler wird oft schon gemacht, wenn man einfach KPIs, also Key Performance Indicator, als Ziele vorgibt. Dies resultiert oft aus einem falschen Verständnis, was KPI überhaupt sind.

In dem Begriff stecken die wichtigen Begriffe: „Schlüssel“ und „Performance“, angezeigt durch einen „Indikator“. Es geht dabei um eine Leistungskennzahl.

Ich möchte mit einer Metapher das Prinzip verdeutlichen – ist denn der Weg das Ziel, oder ist der Weg ein Hilfsmittel das Ziel zu erreichen?

KPIs sollten nicht das Ziel an sich sein, sondern sie beschreiben, sie messen, und sie stellen dar, wie man sich dabei schlägt, die Ziele zu erreichen.

Wichtig ist, aus welcher Sicht man das Ganze betrachtet. Was sind denn tatsächlich die Ziele – und wenn wir die kennen, dann fragen wir uns, welche Aktivitäten oder Maßnahmen benötigen wir dafür sie zu erreichen, und dann - welche KPI helfen uns dabei, dies sichtbar und messbar zu machen.

Ein Beispiel aus der Praxis im Vertrieb: Eine Besuchsfrequenz beim Kunden oder eine Transformationsquote von Angeboten zu Aufträgen können wichtige KPI sein, aber sie sind nicht selbst das Ziel – sondern das, was man mit einer hohen Besuchsfrequenz oder einer hohen Hitrate versucht zu erreichen. Erreichen möchte man Abschlüsse, zufriedene Kunden, Aufträge, Umsätze, und schlussendlich Deckungsbeitrag und Unternehmens-Ergebnis.

Susan Wild:
Ja, ein Klassiker, wenn Controlling plötzlich zum Selbstzweck wird, anstatt ein Kennzahlensystem, aus denen man Ziele heraus definiert. Aber lass uns zur Ausgangsfrage zurückkommen – machen Zielvereinbarungen und variables Entgelt heute überhaupt noch Sinn. Wenn man die Stimmungslage in Business Netzwerken, Personalabteilungen oder bei jüngeren Unternehmen aufmerksam verfolgt, stellt man fest, dass es immer mehr Stimmen gibt, die plädieren diese aufzugeben, und sie für antiquiert halten. Energie und Zeit würde verschwendet. Motivation werde in die falsche Richtung gelenkt, es gibt Anreize zur Manipulation; Druck, Stress und Burn-Out-Gefahr werde Vorschub geleistet. Was ist deine Haltung dazu?

Ingo Gotsch:
Ich denke, dass diese Stimmen durchaus ihre Berechtigung haben. Das Thema ist ambivalent, und es kann nicht die eine Lösung geben, die allen Fällen gerecht wird. Selbst in der Forschung ist das Thema umstritten, und füllt ganze Bücher mit guten Argumenten auf allen Seiten. Wir haben eine unglaublich vielfältige Landschaft an Unternehmen – und alle haben ihre eigene Historie, was die Mitarbeitenden und deren Vergütung betrifft. Es gibt unterschiedlichste Produkte, die die Unternehmen herstellen oder als Dienstleistung anbieten. Natürlich macht es einen großen Unterschied, ob ich im Finanzsektor Prämien für Vermittlungsgeschäfte ausschütte, oder im Sondermaschinenbau Vertriebsleute variabel erfolgsabhängig vergüte, die Maschinen verkaufen mit Projektlaufzeiten von 2-3 Jahren, oder ob ich bei einem Unternehmen arbeite, das vor allem Schnelldreher verkauft.

Genauso unterschiedlich sind die Menschen. Es gibt hochgradig intrinsisch motivierte Vertriebsleute, die unabhängig von Prämienzahlungen einen hervorragenden Job machen und keinen zusätzlichen Anreiz benötigen. Hätten wir ausschließlich solche Leute im Vertrieb, könnte man wohl sofort alle Prämiensysteme abschaffen und mit einem guten Fixum arbeiten.

Aber es gibt eben auch viele, die den sportlichen Ehrgeiz brauchen, und die von Zielen stark motiviert werden – sofern sie erreichbar und nicht illusorisch sind. Gerne spricht man hier von den vielzitierten High Performern, die solche Anreize wollen und auch einfordern. Ich glaube auch, dass Menschen mit einem solchen Wesen auch von Jobs im Verkauf besonders angezogen werden.

Diese High Performer haben oft durch ihre Übererfüllung bei den Zielen deutlich höhere Gehälter als ihr Nominalgehalt. Müssten Unternehmen diese oft durch Mehrleistung oder besonders gute Erfolgsbilanz erreichten Gehälter zahlen als reines Fixum, würden sie sich ihre Gehaltsstrukturen an Nominalgehältern sprengen, und könnten diese Gehälter im Standard oft gar nicht mehr in ihren Vergütungsstrukturen abbilden. Und in der Geschäftsleitung hat man die Sorge, dass die Topleistung nicht mehr in gleichem Masse gebracht wird, wenn das hohe Gehalt zum Standard wird. Man möchte dort die Topgehälter nur dann ausschütten, wenn die Mehrleistung auch tatsächlich kommt und das Unternehmen somit eine Gegenkompensation hat.

Susan Wild:
Und das Ganze prallt dann auf die von Dir beschriebene Historie in den Unternehmen.

Ingo Gotsch:
Ja. Die wenigsten Unternehmen haben die Situation, dass sie wie bei einem Start-Up einen Vertrieb frisch auf die grüne Wiese bauen können, ohne Altlasten.

In der Theorie klingt es oft sehr gut, variables Entgelt abzuschaffen – aber wie soll die Lösung dann in der Praxis funktionieren, wenn ich schon eine sehr ambivalente Historie in den Verträgen habe; wie komme ich an diesen Punkt? Was ist die Alternative?

Stellen wir uns einen tarifgebundenen Mittelständler mit einer Belegschaft von ungefähr 1000 Leuten vor, technische Produkte für den B2B-Bereich. Im Vertriebsaußendienst arbeiten ein/zwei Dutzend Vertriebsingenieure und Key Accounter. Die Spanne reicht dabei vom unerfahrenen Junior Verkäufer, bis zum erfahrenen sogenannten alten Hasen, der fast immer seine Ziele übertrifft. Es gibt High-Performer, aber auch ein gesundes Mittelfeld, und vielleicht auch ein/zwei Low-Performer, bei denen noch nicht klar ist, ob der Job für sie überhaupt der richtige ist. Der Betriebsrat ist bedacht darauf, dass die Leute künftig nicht schlechter gestellt werden. Wie kann man in so einem gewachsenen System, das unterm Strich auch durchaus Erfolg hatte über die Jahre, eine radikale Veränderung der Entgelte praktisch umsetzen? Es sind Arbeitsverträge – es geht nur im Einvernehmen. Und bereits Erreichtes und gute Chancen auf mehr Entgelt aufzugeben, fällt den Deutschen nicht leicht.

Susan Wild:
Ich verstehe Deine Aspekte. Und beobachtet habe ich auch, dass hinter Unzufriedenheit mit Zielvereinbarungen oft Führungsfehler stecken. Sei es, dass Führungskräfte von der übergeordneten Hierarchie unrealistische EBIT-Vorgaben bekommen, die am Ende, wenn der Druck nach unten weitergegeben wird, in unrealistische oder makulatorische Zielvorgaben münden, oder sei es, dass sich um intransparente Ziele handelt, weil Führungskräfte und/oder Personalabteilungen und/oder Betriebsräte handwerklich schlechte Systeme aufsetzen, die z. B. so makulatorisch sind, dass sie gar keinen richtigen Motivationscharakter haben, sondern nur das Gehalt strecken sollen und als substanzlose Abgrenzung zu anderen Berufsgruppen oder Gehaltsstufen gehandelt werden. Wie ist deine Erfahrung/Haltung dazu?

Ingo Gotsch:
Ich denke auch, dass hinter Unzufriedenheit mit Zielvereinbarungen und wenn daraus Konflikte erwachsen, oft in Wahrheit Führungsfehler stecken, oder systematische Fehler am Modell. Arbeitet man an diesen, kann sofort Verbesserung eintreten. Außerdem sind oft schwer verständliche Prämiensysteme vorzufinden, die so komplex und intransparent sind, dass nur ein Teil des Teams sie überhaupt wirklich verstanden hat.

Ein Fortschritt wäre dann aus meiner Sicht, dass man nicht in jedem Fall die Zielvereinbarung und variable Entgelte generell in Frage stellt und abschafft, sondern dass man die Modelle selbst überarbeitet, fair und transparent gestaltet, und vor allem eine gute Kultur der Zielvorgaben aufbaut.

Allerdings kann ein noch so gut gestaltetes Gehaltsmodell nicht die Fehler auffangen, wenn schlecht geführt wird und falsche und schlechte Ziele gesetzt werden. Oder auch wenn die Belegschaft generell blockiert und sich unflexibel bei der Zielvereinbarung zeigt. Man muss an verschiedenen Punkten ansetzen.

Ich plädiere gar nicht dafür, dass jedes Unternehmen auf Zielvereinbarungen setzen sollte. Ideal wäre, wenn jedes Unternehmen auf seine Bedürfnisse, Branche, Produktlandschaft und betriebliche Historie zugeschnitten seine bisherige Lösung stetig weiterentwickelt oder wenn wirklich nötig auch neugestaltet. In etlichen Fällen ist ein radikaler Neuanfang im Einklang mit den Beschäftigten sicher der richtige Weg, in vielen anderen Fällen kann man über punktuelle Verbesserungen sehr viel erreichen.

Susan Wild:
Lass uns dann noch ein bisschen genauer weitere Beispiele anschauen, was Zielvereinbarungen in der Praxis schwierig machen kann. Wie sieht es mit Motivationsproblemen aus: Wenn die erfolgsabhängige Vergütung als einzige Motivationsquelle angesehen wird, könnten andere, intrinsisch motivierende Faktoren wie berufliche Entwicklung oder Arbeitszufriedenheit vernachlässigt werden. Genauso Weiterentwicklung.

Ingo Gotsch:
Genau das ist ein typisches Führungsthema wie ich finde. Ich kenne einen sehr erfahrenen und erfolgreichen Vertriebsleiter, der immer, wenn er den Eindruck hatte, dass Leute sich nur um ihren variablen Entgeltanteil Gedanken machen und ihre Arbeit so ausrichten wollten, was ihnen bei der Zielerreichung gute Ergebnisse einbringt, dabei aber sonstige Aufgaben vernachlässigt haben, folgendes entgegnet hat:

Wenn das Unternehmen zum Beispiel 80% des Jahresentgelts als Fixum zahlt plus Dienstwagen, und 20% als variable Komponente, dann hat das Unternehmen ja wohl auch schon einen Anspruch auf die Arbeitsleistung des Mitarbeitenden für die 80% die es als Fixum ausschüttet, und dass er eben auch an die Firma als Ganzes denkt, und nicht nur an seine Prämie. So wurde an die ethische Grundhaltung appelliert, dass man, wenn man fest angestellt ist, auch allgemeine Dinge tun muss - unabhängig von Provisionen.

Berufliche Entwicklung als Ganzes muss natürlich immer im Vordergrund stehen, und regelmäßig in Gesprächen zwischen Führungsebene und Mitarbeiter auf der Tagesordnung sein. Wenn ein Chef meint, nur einmal im Jahr ein Zielerreichungsgespräch basierend auf Erreichung von Zahlen zu führen, ansonsten aber unsichtbar abgetaucht bleibt, ist sowieso grundsätzlich etwas falsch gelaufen. Das Ganze würde dann aber nicht wirklich besser, wenn der so eher nicht geführte Mitarbeiter ein reines Fixgehalt hätte. Zielvereinbarungen ersetzen andere wichtige Aspekte der Führung nicht, sie ergänzen sie.

Susan Wild:
Wie sieht es dabei mit Druck, Stress und Burnout-Gefahr aus?

Ingo Gotsch:
Sind die Mitarbeitenden in faire Zieldefinitionen eingebunden, und haben sie das Gefühl, dass ihre Ziele erreichbar und fair sind, hat man vorbeugend schon einiges erreicht. Gleichwohl gibt es im Vertrieb einen gewissen Druck, das lässt sich nicht leugnen. Schließlich finden wir dort auch überdurchschnittliche Gehälter und regelmäßig auch überstundenintensive Arbeitszeiten – da ist eine gewisse Stress-Resilienz vonnöten. Dennoch ist dieser Stress-Aspekt sehr wichtig und keinesfalls zu unterschätzen. Druck und Stress müssen Grenzen haben, sie erfordern auch Zeiten des Ausgleichs. Und über engen Kontakt mit den Leuten kann man viel bewirken von Vorgesetztenseite. Insbesondere aber auch, durch guten Umgang, wenn es mal nicht so gut läuft. Lässt man hier die Daumenschrauben beiseite und führt von Unternehmensseite konstruktiv, und kümmert sich gemeinsam um Maßnahmen einem schlechten Zahlentrend entgegenzuwirken, ist das viel besser, als wenn die Sales-Leute das Gefühl haben, sie sind alleingelassen und Signale der Überlastung werden übersehen.

Susan Wild:
Wie stehst Du denn zu nicht messbaren Zielen in Zielvereinbarungen? Nicht alle Aufgaben oder Ziele sind leicht quantifizierbar. Das Fokussieren auf messbare Ziele kann dazu führen, dass wichtige, aber schwer messbare Aufgaben vernachlässigt werden. Das kann insbesondere für Führungskräfte ein Thema sein, die auch die Personalführung oder Weiterentwicklung von Mitarbeitenden als qualitative Aufgaben haben. Auch die Gefahr der uneinheitlichen und stark subjektiven Bewertung durch Vorgesetzte gehört in diese Kategorie.

Ingo Gotsch:
Ich bin ein großer Fan von persönlichen Zielen außerhalb der üblichen Kategorien wie Umsatz oder Deckungsbeitrag. Idealerweise sind auch die persönlichen Ziele messbar, aber oft sind sie es nicht. Teilweise kann man auch mit Umwidmung in konkret fassbare Maßnahmen arbeiten.

Bei nicht messbaren, sogenannten weichen Zielen sind die Kriterien der Beurteilung im Voraus zu umschreiben und in der Zielvereinbarung oder in einer Betriebsvereinbarung zur Prämienregelung schriftlich zu fixieren. Sie sind transparent und nachvollziehbar zu machen, soweit möglich. Dies beugt zumindest ein Stück weit der subjektiven Beurteilung durch Vorgesetzte vor, und mindert damit auch Ungerechtigkeitsempfinden oder den Eindruck dass andere bevorzugt werden. Gleichwohl räume ich ein, dass es auch hier wieder auf die gelebte Führungspraxis ankommt, und man sich als Chef oder Chefin immer vor Augen führen sollte: kann ich meine Entscheidungen bei Bewertungen vor allen rechtfertigen – nicht nur vor mir selbst und dem Beurteilten, auch vor dem Unternehmen und dem Fairnessgedanken gegenüber bei Beurteilungen von Kollegen des Beurteilten.

Susan Wild:
Was ist noch wichtig bei persönlichen Zielen?

Ingo Gotsch:
Bei den persönlichen Zielen können sehr gut Unternehmensziele integriert werden, die heruntergebrochen werden auf Mitarbeiterebene, so wie auch persönliche Aktivitäten-/Maßnahmen- oder Strategiepläne. Das Gleiche gilt für erfolgreich absolvierte Weiterbildungen.

Susan Wild:
Verstehe. Zudem bietet sich bei persönlichen Zielen immer an, die Mitarbeitenden Vorschläge machen zu lassen, welche Ziele sie gerne erreichen und festhalten würden – an diesem Punkt also die Mitarbeitenden besonders aktiv an der Zieldefinition mitwirken zu lassen.

Ingo Gotsch:
Genau. Dasselbe gilt beim Zielerreichungsgespräch – das Erfragen einer Selbsteinschätzung bietet sich an.

Bei weichen Zielen kann es auch je nach Fall sinnvoll sein - und dies ist vorher auch transparent zu machen - dass auch die Arbeit am Ziel bewertet wird, nicht nur die vollständige Erreichung. Sonst kann es passieren, dass Mitarbeiter in späteren Zielvereinbarungen Widerstand leisten bei der Vereinbarung von sehr sportlichen Zielen oder diese gar nicht erst vorschlagen.

Ganz nach dem Motto: Wenn jemand sich selbst ein herausforderndes Ziel gibt, das dem Unternehmen auch einen hohen Mehrwert bietet, und es wird nicht erreicht aus äußeren Umständen heraus, es wurde aber intensiv und motiviert daran gearbeitet – dann sollte es auch eine gute Bewertung bei dem Teilziel geben. Das entspricht Fairness für beide Seiten. Wenn diese so gelebt wird, wächst Vertrauen und Motivation, was eine Win-Win-Situation darstellt. Zudem wird so „richtiges“ Vorgehen gefördert, das aus Zufall vielleicht in einem Jahr nicht zum Erfolg geführt hat, langfristig üblicherweise aber schon.

Susan Wild:
Das „langfristig“ gefällt mir - wenn die Vergütung nur an kurzfristige Ziele gekoppelt ist, kann dies dazu führen, dass langfristige Ziele und Strategien in den Hintergrund rücken.

Ingo Gotsch:
Eben.

Susan Wild:
Um das Thema der Motivation noch abzurunden - mangelnde Teamarbeit kann ein großes Problem sein. Wenn individuelle Ziele betont werden, kann dies die Zusammenarbeit zwischen Mitarbeitern oder Teams behindern und zu einem Wettbewerbsklima führen. Das kann man sicherlich für Berufe, die Einzelkämpfer haben, gut einrichten, wiederum erzeugt es in Unternehmen, die verschiedene Berufsgruppen haben, auch Frust wegen einer vermeintlichen Ungleichbehandlung. Ausgerechnet in Zeiten interdisziplinärer Teams und Matrixorganisationen, fallen Zielvereinbarungssysteme, die nicht auf Teamergebnisse zielen, aus der zeitlichen Reihe.

Ingo Gotsch:
Hundertprozentig, ja. Allerdings schließen sich teamorientierte Arbeitsweise und Förderung von Teamgedanken und Zielvereinbarungen gar nicht aus. Man kann und sollte sie klug integrieren, und kann dann beides erreichen – individuelle Motivation, aber auch Stärkung des Teamworks mit all seinen Vorteilen. In modernen Zielvereinbarungen im B2B-Vertrieb finden sich immer häufiger nicht nur Individualziele, sondern ergänzend auch Teamziel-Komponenten.

Diese sollen eine Teamkultur fördern, und dass Menschen stärker zusammenwachsen und sich gegenseitig unterstützen – in vielerlei Hinsicht. Nicht nur bei Einarbeitung und Integration ins Team, auch bei gebietsübergreifender Zusammenarbeit.

Auch auf Seiten der Kunden von Unternehmen ist zu beobachten, dass standortübergreifende Aktivitäten und Zusammenhänge immer häufiger werden, wie zum Beispiel Zentraleinkauf am Standort A, und technische Betreuung am Standort B.

Unter anderem daher ist es von Vorteil und wichtiger denn je, wenn der Trend im Vertrieb vom „Einzelkämpfer“ weg geht, und gegenseitiges informieren und zusammenarbeiten gefördert werden.

Teamziele unterstützen hierbei.

Gleichzeitig sind sie in der Regel „träger“ – sie lassen sich nicht „outperformen“ wie Einzelgebiete, aber stürzen in schlechten Jahren auch nicht so stark ab wie es ein Einzelgebiet kann. Das heißt, sie stabilisieren das Risiko beim Entgelt des Vertrieblers, begrenzen allerdings auch die Chancen.

Susan Wild:
Damit hätte man ja im Zielmix mit Individualzielen auch eine gesunde Diversifizierung geschaffen.

Ingo Gotsch:
Ja, richtig. Ich habe selbst erlebt, dass die Einführung von Teamzielen die übergreifende Zusammenarbeit und Kommunikation massiv verbessert hat, zum Erfolg von allen. Und selbst viele hartgesottene Einzelkämpfer lernen oft, wenn sie einige Male von der Teamarbeit der anderen zum Beispiel durch Unterstützung oder gute Tipps profitiert haben, dass es auch für sie Sinn macht, zu geben und nicht nur zu nehmen. Die ganz Extremen allerdings, die dann immer noch an ihrem Fürstentum festhalten, hätte man auch mit einem hohen Fixgehalt nicht erreicht und umgestimmt, da es sich dann meist – denke ich – um eine grundlegende Charaktereigenschaft handelt.

Susan Wild:
Ich hätte noch ein weiteres gängiges Argument gegen die Zielvereinbarung im Köcher: Wie sieht es aus deiner Warte mit Manipulation aus? Es besteht die Möglichkeit, dass Zahlen oder Ergebnisse manipuliert werden, um die Zielvorgaben künstlich zu erfüllen. Bei einem Fixgehalt fällt dieser Anreiz weg.

Ingo Gotsch:
Das verhält sich ähnlich wie bei den hartgesottenen Einzelkämpfern, die ich eben beschrieben habe. Einen gewissen Prozentsatz, die versuchen Systeme zu unterlaufen oder zu manipulieren, gibt es leider immer. Diese Leute findest Du aber nicht nur bei den Zielvorgaben, bei der Vertrauensarbeitszeit zum Beispiel tricksen die dann vielleicht auch. Ich sehe auch das wieder als ein Führungsthema. Gute Führung kostet Zeit, aber sie ist eben auch unglaublich wertvoll. Vertriebsleitungen, die eng am Menschen sind, fallen solche Dinge im Laufe der Zeit auf, und man kann gegensteuern.

Susan Wild:
Ein weiteres viel kritisiertes Thema ist die Komplexität: Die Verwaltung von Zielvereinbarungssystemen kann kompliziert sein, da regelmäßige Auswertungen, Überprüfungen, Anpassungen und Feedback-Sitzungen notwendig sind.

Ingo Gotsch:
Korrekt. Es braucht hier einen gesunden Mix. Daher sind gute Modelle meines Erachtens transparent, schlank, verständlich – und sie integrieren sich gut in Auswertungsmöglichkeiten, die das Unternehmen ohnehin hat oder braucht. Business Intelligence-Systeme, ERP- und CRM-Tools sowie schlanke Tools oder Umsetzungen von Entgeltmodellen können hier sehr gut unterstützen, und den Aufwand in Relation zum Nutzen gesund gestalten. Überkomplexe Systeme, die viel Aufwand erzeugen und auch fehleranfällig sind, und oft nicht mal in Gänze vom Personal verstanden werden, erzeugen Frust und Sand im Getriebe.

Susan Wild:
Von der Komplexität zur Flexibilität: Strikte Zielvorgaben können die Anpassungsfähigkeit in einem sich schnell verändernden Marktumfeld oder bei unerwarteten Herausforderungen einschränken. Dadurch dass es als Lohnbestandteil gilt, rechnen Mitarbeitende damit. Eine Flexibilisierung oder Änderung von Zielen ist sowohl vertraglich als auch von dem Signal, das ich als Arbeitgeber auslöse, schwierig…

Ingo Gotsch:
Das stimmt. Meine Lebenserfahrung im Vertrieb ist hier, dass solche Faktoren in beide Richtungen vorkommen, und man lebt entspannter, wenn man das langfristig und ganzheitlich sieht. Natürlich hat man mal ein schlechteres Jahr. Man hat geplant und die Wirtschaft kühlt ab, ein wichtiges Produkt fällt aus oder ein Top-Kunde springt ab. Man ist unter seinen Planwerten. Die Münze hat aber zwei Seiten: Wie oft kommt es vor, dass man in die andere Richtung outperformt, weil der Markt deutlich besser lief als erwartet, Konjunkturimpulse kommen, oder Projekte aus dem Nichts erscheinen mit denen man nicht gerechnet hat? Ich habe es so erlebt, dass es sich oft ganz gut ausmittelt. Macht man sich das bewusst, akzeptiert man leichter auch ein schlechteres Jahr. Und sollten besonders krasse Effekte kommen wie die Finanzkrise 2008, die Corona-Pandemie oder andere besonders starke Faktoren, die nicht vorauszusehen waren und in gutem Glauben gemachte Ziele zur Makulatur werden lassen, habe ich Unternehmen erlebt, insbesondere auch im Mittelstand, die damit verantwortlich umgehen und Lösungen suchen, um dies für beide Seiten erträglich abzufedern.

Susan Wild:
Um das Thema nochmals abzurunden. Es ist wichtig zu beachten, dass viele der Nachteile durch ein sorgfältig gestaltetes und gut verwaltetes Zielvereinbarungssystem gemindert oder vermieden werden können. Es ist auch wichtig, dass die Unternehmenskultur und -führung die richtigen Anreize setzt und sicherstellt, dass das System im Einklang mit den übergeordneten Zielen und Werten des Unternehmens steht. Kann man das als Zusammenfassung so sagen?

Ingo Gotsch:
Exakt.

Unzufriedenheit und Konflikte werden auf das System an sich ausgedehnt – sind Zielvereinbarungen und Prämien, variable Entgeltbestandteile überhaupt noch zeitgemäß? In Wahrheit waren aber oft schlechte Führung, intransparente Modelle und Tools, falsche Zielvorgaben und so weiter die Ursache von Problemen. Kein noch so gutes Tool rettet falsche Ziele und nicht vorhandene Führung.

Gute Führung allein ist aber noch nicht hinreichend. Es braucht auch ein transparentes, schlankes Tool zur Umsetzung.

Unabhängig davon, ob viele Zielvereinbarungen für antiquiert halten oder unmodern – Fakt ist, viele Unternehmen haben ihre Historie damit, sind davon überzeugt, genauso wie viele Leistungsträger – daher wird es immer noch angewandt, und dann sollte es eben auch möglichst gut gemacht werden.

Über Ingo Gotsch

Ingo Gotsch, Dipl.-Ing. (FH) Elektrotechnik, ist zertifizierter Business-Coach (IHK) und Executive Partner bei Bollmann Executives. Mit über 20 Jahren Erfahrung im B2B-Vertrieb – unter anderem als Key Account Manager, Leiter Vertrieb im Außendienst und Sales Director für D/A/CH – kombiniert er fundiertes technisches Verständnis mit praxisnaher Führungskompetenz. Als Partner von maXzie engagiert er sich insbesondere in Projekten zur Einführung und Optimierung variabler Vergütungssysteme. Dabei liegt sein Fokus auf der Verbindung von moderner Führung, Vertriebsorganisation und technischer Umsetzung von Incentive- und Entlohnungsmodellen.

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